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Segen ist Heilkraft

 

Aus biblischen Zeiten ist überliefert, dass ein Familienoberhaupt vor dem nahen Tod seinem

ältesten Sohn den väterlichen Segen spendete, um seine spirituelle Kraft an die kommenden

Geschlechter weiterzugeben. Der Segen ist ein Lebensprinzip, das weiter gegeben werden

muss.

 

Er wurde gespendet, um Menschen oder bestimmte Lebenssituationen zum Guten zu

wenden: das Gelingen der Arbeit, Schutz vor Unfällen, die Genesung von der Krankheit – im

Segen wirkt die Kraft Gottes und der Menschen heilsam für das Leben.

Der Segen hebt die Disharmonie im Menschen auf und bringt ihm das heilenden Wirken

Gottes und der ganzen Schöpfung. Er setzt den Menschen in Beziehung zu sich selber, zu

anderen, zur Schöpfung und zu Gott: Zerbrochenes wird wieder heil, Krankes wird gesund,

Niedergedrücktes wird aufgerichtet. Mit dem Verstand allein ist der Segen nicht zu

begreifen, sondern nur mit dem Herzen. Denn im Segen wird der Mensch in seinem

Innersten berührt. Zum Segen gehört auch die Haltung der Demut: Der Mensch erkennt,

dass er nicht alles selber kann, sondern in seinem Leben auf Hilfe angewiesen ist, die er im

Segen erbittet.

 

Die Mönche segnen alles. Sie beginnen ihre Gebetszeiten, ihre Arbeit und ihr Essen immer

mit dem Segen, indem sie das Kreuz über sich selbst zeichnen, Gott um Hilfe anrufen,

einzelne Menschen oder die Gemeinde am Schluss des Gottesdienstes segnen. Wenn die

Mönche früher ihr Kloster verließen, baten sie den Abt um den Segen – als Schutz und

Wegbegleitung. Nach der Rückkehr ließen sie sich von ihm wieder segnen. Das ganze Kloster

soll ein Segen sein, heißt es in der Regel des heiligen Benedikt.

 

Wie wirkt ein Segen?

Der Segen berührt den Menschen, wie jedes gute Wort. Er kann nicht wirken, wenn man sich

davon distanziert und ihn abwehrt. Der Segen stiftet eine Beziehung zwischen Gott und dem

Menschen, zwischen Himmel und Erde, zwischen allen Gegensätzen. Deshalb muss auch der

Segnende in diesen lebendigen Beziehungen stehen. Er macht sich durchlässig für die

göttliche Kraft, die im Segen wirkt. Wer keine Beziehung hat zum Leid der Welt, zum Hilfe

suchenden Menschen, zu Kindern oder Tieren – wer nicht mitten im Leben steht, Leid und

Freude, Hoffnung und Trauer selber erfahren hat, der kann keinen Segen spenden.

Der Segen kommt nur bedingt von dem, der ihn erteilt, sondern von Gott. Derjenige, der ihn

spendet, muss in der Lage sein, die von Gott geschenkte Gnade nicht für sich zu behalten,

sondern weiterzuleiten, sie durchströmen zu lassen zum Empfänger.

Wer den Segen erteilt und wer ihn empfängt, öffnet sich für etwas, das außerhalb von ihm

liegt: für die göttliche Dimension. Der Segen erreicht den Menschen am besten dann, wenn

er dafür offen und bereit ist. Das ist vor allem bei Menschen der Fall, die krank sind oder –

an Leib und Seele – verletzt wurden. Sie spüren intuitiv, dass ihnen der Segen hilft. Deshalb

tut es ihnen so gut, wenn ihnen beim Segnen auch die Hände aufgelegt werden.

Der Gestus gehört ohnehin zum Segen, egal ob man jemandem die Hände auflegt oder sie

über ihm ausbreitet, ob man ihn mit Weihwasser besprengt, mit Weihrauch beräuchert oder

über ihn das Kreuzzeichen macht. Die Geste soll ausdrücken, dass man zu dem Menschen,

der gesegnet wird, eine besondere Beziehung herstellt.

 

 

Viele meinen, nur Priester oder Mönche seien berechtigt, Menschen zu segnen. Nein – jeder,

der offen ist, kann es tun. Der Vater kann sein Kind mit dem Kreuzzeichen auf die Stirne

segnen, wenn es morgens das Haus verlässt, ein Mann segnet seinen kranken Freund, die

junge Frau ihren Lebenspartner – immer wird die Gnade Gottes auf den Gesegneten

übertragen. Den Segen kann man sich nicht verdienen, er ist ein Geschenk. Er heilt Wunden,

beschützt das Leben, nimmt das Böse vom Menschen. Mit Gesten, Worten und Zeichen wird

der gesegnete Mensch äußerlich und innerlich berührt und in einen neuen Zusammenhang

gestellt. Sein alter Rhythmus wird aufgebrochen und erneuert, die göttliche Heilkraft stärkt

sein Leben.

Ein Mensch kann sich auch selber segnen – zum Beispiel, indem er bei sich das Kreuzzeichen

macht, wenn er seine Wohnung verlässt oder wieder zurückkommt oder sich zwischendurch

bekreuzigt. Das Kreuzzeichen ist eine besonders wirksame Geste des Segens. Man soll dabei

ganz bewusst mit der Hand seine Stirne und den Bauch berühren, dann über die beiden

Schulter das Kreuzzeichen ziehen und zu sich selber den Segen sprechen: „Im Namen des

Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – Amen“. Man kann auch dieselben Worten

sprechen und dabei mit dem Daumen je ein kleines Kreuzzeichen auf die Stirn, auf den Mund

und aufs Herz machen. Viele erbitten bei der Selbstsegnung auch die Hilfe ihrer Schutzengel

oder der Heiligen, durch die Gott wirkt.

 

Der Segen wird nicht nur Menschen erteilt. In vielen Gegenden ist es heute noch guter

Brauch, dass man ein neues Haus, die frisch bezogene Wohnung, die geernteten Heilkräuter,

das Auto oder seine Tiere segnen lässt, damit über allem das heilende Wirken Gottes liegt.

Der Segen, mit dem Leib und Geist vollzogen, wird Beziehung stiften auf allen Ebenen im

Menschen selbst, zwischen den Menschen – und zu Gott hin.

 

Benediktiner sind mit ihrem Namen dem Segen verpflichtet: bene‐dicere = gutes sagen = segnen,

Benedictus = der Gesegnete. Sie sind vom Wesen und von ihrer Berufung Gesegnete und

werden – wenn sie ihr Leben und ihren Auftrag ernst nehmen und ihm treu bleiben ‐ selber

zum Segen. Ihr ganzes Leben, ihr Arbeiten und Beten hat das Ziel, ein Segen zu sein. Das gilt

nicht nur für die Klostergemeinschaft und das Kloster, sondern für alle Menschen und für die

ganze Welt. Wenn die Benediktiner im Sinne ihrer Berufung ohne Überheblichkeit

authentisch leben, sind sie Heilfaktoren, Heiler der Welt.

Dieser Auftrag ist aber nicht nur den Mönchen und Nonnen vorbehalten. Jeder Mensch kann

zum Segen und zum Heil werden, wenn er auf dem Weg der Gottessuche geht und durch

Denken, Reden und Handeln Gutes tut.

 

P. Dr. Johannes Pausch OSB

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